Triggerwarnung: police violence, Polizeigewalt
Text: anonyme*r Anwohner*in
Mittags, am 21.3.2020 ereignete sich an der Ecke Görlitzer Straße / Sebnitzer Straße in der Neustadt ein Vorfall, bei dem sieben wohnungslose Menschen von (am Ende) sechs (!) Polizeiwannen eingekesselt und in Gewahrsam genommen wurden. Der Vorwurf lautete entgegen ersten Annahmen nicht, dass die Personen gegen die Auflagen der Ausgangssperre verstoßen haben, sondern sich alkoholisiert und stark aggressiv vor einem Supermarkt verhalten haben und auf Aufforderungen der Polizei sich von dem Ort (in Zweiergruppen) zu entfernen, nicht reagiert haben.
Unseren Einschätzungen und Informationen zu Folge hätte sich die Situation, mit völlig unverhältnismäßig hohem Polizeiaufgebot gegen sechs alkoholisierte Personen, entsprechend auch unabhängig von der Corona-Ausgangssperre ähnlich ereignen können. Das ist auch schon besorgniserregend und kritikwürdig, hinzu kommt aber dennoch eine Corona-spezifische Situation:
Mir wurde als Passant*in von einem Polizist angedroht, dass ich nicht stehen bleibe und die Situation beobachten dürfe, da Ausgangssperre sei und Maßnahmen gegen mich ergriffen werden könnten.
Außerdem wurde den wohnungslosen Personen bei dem Vorgang der Ingewahrsamnahme/Abführung unfreiwillig jeweils ein Mundschutz übergezogen. Damit wollten die Polizisten anscheinend eine Ansteckungsgefahr auf sich selber vermeiden. Gleichzeitig trugen die PolizistInnen selbst aber KEINEN Mundschutz und wahrten keinen empfohlenen Mindestabstand zu den Personen, womit sie implizieren, dass sie selber keine potentiellen Corona-Überträger seien bzw. die wohnungslosen Personen nicht schützenswert. Obwohl davon auszugehen ist, dass Wohnungslose durch ihre prekären Lebensverhältnisse tendenziell eher einer Risikogruppe zugehörig sind, als junge, durchtrainierte BeamtInnen [1].
Damit wurden die wohnungslosen Personen in vielerlei Hinsicht stigmatisiert, indem sie selber als ‚infizierte Gefahr‘ stigmatisiert wurden, sie selber aber nicht als gesund und ansteckungsgefährdet mit ggf. schwachen Immunsystem präventiv rücksichtsvoll behandelt wurden. Von der herabwürdigenden Situation mal ganz zu Schweigen.
Hierbei zeigt sich auf verschiedenen Ebenen stak problematische, antidemokratische Auswirkungen der Corona Krise und den verhängten Ausgansbeschränkungen.
Es kann und wird vermutlich auch in den nächsten Tagen und Wochen immer wieder passieren, dass Zivilgesellschaft durch die Ausgangssperre eingeschüchtert wird, und dadurch u.a. politisches Engagement und solidarische Handlungen (im öffentlichen Raum) unterbunden wird.
Zudem wurde mit der Ausgangssperre eine rechtliche Grundlage geschaffen, nach welcher wohnungslose Personen ‚in ihre Wohnung‘ geschickt werden können, was völlig absurd ist, und es ihnen verboten wird, sich mit mehr als zwei Personen im öffentl. Raum aufzuhalten. Dies kann als Straftat verfolgt und mit bis zu zwei jahren Haft bestraft werden!!
Um das zu vermeiden müssen sich die Personen, laut Aussage eines Polizisten, (unfreiwillig) in „Obdachlosenunterkünfte“ einfinden – wobei fraglich ist, ob dort die Gesundheit der Betroffenen besser geschützt ist, wenn viele (immungeschwächte) Menschen auf engem Raum zusammen gezwungen werden …
Was können wir tun um diese absurde Situation zu kritisieren und uns solidarisch mit wohnungslosen Personen und Menschen in prekären Wohnverhältnissen zu zeigen?? Wie können wir welche Maßnahmen und Regelungen von der Stadt Dresden verlangen, um auf eben solche Lebensrealitäten angemessen einzugehen?
Ausganssperren zu verlangen ist extrem priviligiert und kann für weniger Priviligierte ohne Wohnung oder in armutsbedingten Wohnverhältnissen auf physischer, emotionaler, strafrechtlicher und anderer Ebene sehr schlimme und krasse Auswirkungen haben! Und für uns alle bedeutet diese (etrem kurzfristig verkündete) Ausgangssperre einen starken Einschnitt in unsere demokratischen Rechte, die wir möglichst kritisch beobachten müssen.“
Bild: https://twitter.com/dresden_a/status/1241729451412598785
[1] Tag24 Artikel: Dresdner Polizei & Rettungskräfte feiern eine große Party trotz Corona | link
Seid solidarisch, mischt euch ein, baut und unterstützt Strukturen!
(Not-)Rufnummern findet ihr bei diesem Beitrag.
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