17.01. Kritik zur geforderten Sexismusdebatte in Dresden

Im Sommer 2020 sagte die Dresdner Gruppe „Women Defend Rojava“ ihren Vortragsslot auf einem nicht weiter benannten Festival in der sächsischen Provinz ab. Grund war ihr Wissen über „eine definitive und eine potentielle Teilnahme [zweier] Personen, die in der Vergangenheit übergriffig gegen Personen [der] Gruppe und anderen geworden sind. Es handelte sich in beiden Fällen um sexistisches Verhalten […].“ [1] Es gab Personen bei Women Defend Rojava, die sich „durch die Anwesenheit der beiden so stark eingeschränkt fühlen, dass sie sich eine Teilnahme nicht vorstellen [konnten].“ [1] 
.
Am 8. Januar veröffentlichte ‚Alternative Dresden News‘ (ADDN) zwei Meinungen von Teilnehmer*innen dieses Festivales und anfangs auch das Statement eines Beschuldigten. Dieser unvorsichtige, von den Betroffenen ungewünschte „Debattenanstoß“ führte von vornherein zu einer Schieflage der repräsentierten Perspektiven zugunsten der Beschuldigten und ihres Unterstützer*innenkreises. In den Protokollen wird hauptsächlich kritisiert, WIE die Betroffenen den Sexismus öffentlich kundtaten und dass sie für die darauf entstehenden Arbeiten (Orga Aufgaben, Selbstreflektion, Awareness, Care-Arbeit) nicht zur Verfügung standen. Viel dreht sich auch um die Behauptung eines „Sprechverbots“, dass WDR zumindest auf dem Aushang gar nicht gefordert hat.
.
In den Kommentaren wird die Gruppe WDR (darunter Betroffene) und Einzelpersonen heftigst persönlich angegriffen, u.a. eine Betroffenheit komplett abgesprochen und Rachegelüste unterstellt. Da ja der eigentliche Artikel schon aus Kommentaren besteht, ließt sich die „Auseinandersetzung“ in den Kommentaren der ADDN-Seite flüssig weiter: es verschwimmt und es sind keine Rahmen gesetzt. Diese misogynen Annahmen und Verhalten wie Victim-blaming werden nicht als solche gekennzeichnet, sondern als Diskurs gestattet. Unter victim-blaming (oder auch TäterOpferUmkehr) werden Vorgehen bezeichnet, die die Schuld bei den betroffenen Personen suchen. Das passierte dutzendfach [Beispiele 3].  Ein Diskurs, in dem z.B. zum Opfer eines Übergriffs werden als etwas aktiv ausgesuchtes oder ausgedachtes dargestellt wird (Zitat „in die Opferrolle zurück zu ziehen und so die K.O Karte zu ziehen“ & „ein Fallenlassen in die Opferposition“), erfüllt keine antisexistischen Basics und Umgangsformen. 
Desweiteren fehlen Informationen zu eigentlich allem (insbsondere der Orgacrew, Entscheidungsabläufe, Verantwortlichkeiten, …), sodass es für Menschen, die nicht mit dabei waren, quasi unmöglich ist, eine Eigeneinschätzung zu beziehen.
.
Wir können weder nachvollziehen, warum Meinungen von Einzelpersonen so ein Gewicht erhalten, noch warum sie unmoderiert samt Kommentaren und Beschuldigtenstatement, lediglich mit einem dürftigen Dislcaimer ausgetattet, ohne jede Not als „Debatte“ verkauft werden. ADDN gibt damit uninhaltlicher, persönlicher Kritik und Hetze Raum, Plattform und Reichweite. Solidarische Berichterstattung kann niemals ohne Einbezug der Betroffenenperspektive funktionieren.
Am 15. Januar veröffentlichte WDR ein Statement zu dem ADDN Artikel [4]. Bisher blieb dessen öffentliche Diskussion in social media und in der Kommenarfunktion aus. Das verstärkt den Eindruck, dass der 1. Artikel viel mehr Menschen erreicht hat, was die Schieflage nachhaltig aufrecht erhält. Auch deswegen wollen wir uns dazu positionieren.

.

Wir haben folgende Fragen an ADDN gesammelt

Warum wird ausgerechnet dieser Beitrag zum Anstoß einer Debatte genommen?

Warum denkt ADDN, die Debatte gäbe es nicht und muss angestoßen werden?

Warum fand ADDN, dass folgenden Geschehnisse, denen gemein ist, Sexismus in der Dresdner linken Szene zu thematisieren, KEIN Anstoß einer Debatte waren: 

  • 2018 veröffentlichte der Anarchistische Hörfunk Dresden eine Sendung zu Gewalt und kollektiven Umgängen innerhalb unsrer Communities. Das malobeo gestaltete in einem eigenen Community-Prozess nach Gewalt innerhalb des Kollektivs ein öffentlich einsehbares Protokoll [5].
  • e*space, eine Schwestergruppe der feministischen e*vibes, die sich mit Räumen auseinandersetzt, organisierte 2020 drei Workshops zu Umgängen mit Gewalt  (12.09. Libertäre Tage | 17.10. malobeo | 13.12. online) und einen online Vortrag am 17.9. mit dem Titel „Keine sicheren Räume?“, dessen Audiomitschnitt online zur Verfügung steht [6]
  • 2020 gründete sich KollUm (Kollektive Umgänge) – eine Vernetzung für kollektive Umgänge mit sexistischer Gewalt und sexualisiertem Machtmissbrauch – angestoßen von einer bundesweiten Debatte über sexualisierte Gewalt in linken Kontexten durch die Übergriffe auf Monis Rache
  • 2020 im Sommer wurde die Gruppe ‚Women Defend Rojava‘ von einem linken Dresdner Festival verdrängt, obwohl dessen orga-Crew von der Teilnahme der verdrängenden Personen und um den Konflikt (also dass das passieren würde) wusste
  • Dezember 2020 startete der Anarchistische Hörfunk Dresden die zweite Sendereihe über sexistische Gewalt in unseren Communities
  • am 25.11.2020 auf der Kundgebung gegen patriarchale Gewalt bezeichnete eine FLINT*Person am open-mic-slot Verhalten der Gruppe ‚undogmatisch radikale Antifa‘ (ura) als Täter*innenschutz, ADDN berichtete in ihrem ansonsten sehr gelungenen Artikel nicht davon [7]

.

Wir hielten es für wichtig, Gegenöffentlichkeit zu schaffen, bzw. klar zu stellen, dass die bisher vertretenen Ansichten und die Art wie, nicht die Meinung aller Dresdner Linken darstellen. Wir möchten uns für ein Szene-Klima einsetzen, in dem Menschen keine Scheu haben müssen, Übergriffe anzusprechen. Wir sehen uns als Räumlichkeit in der Verantwortung, feministischen Antisexismus konkret werden zu lassen. Wir wünschen uns, dass sowohl eine als solidarisch gelabelte Berichterstattung, als auch andere Gruppen, Räume und Einzelpersonen Lust haben, sich dafür einzusetzen.
.
.

Wir veröffentlichen hier weitere Fragen aus den Kommentaren:

    
JOJU:
  • Vielleicht hat ja jemand von der addn.me-Redaktion Lust, Stellung dazu zu beziehen, wie solche „Die Betroffenen sollen erstmal beweisen, dass sie nicht lügen“ Statements zum dem antisexistischen Selbstverständnis der Seite passen.
  • Ist das euer Ernst? Wird hier grade ersthaft ein Statement einer, als Täter beschuldigten Person veröffentlicht, wärend die Perspektive von Betroffenen ausgespart und noch nicht mal erfragt wurde?!
  • Jedes Mal wird sie [Anmerkung: die Betroffene] vom Umfeld fertig gemacht und am Ende zieht sie weg und die Verursacher:innen gehen überall ein und aus und werden abgekumpelt. Wie oft wollen wir das noch durch ziehen?
MARIE [10. Januar 2021 um 15:17 Uhr]:
  • ihr lebt doch einer stadt oder etwa nicht? gibt es keine möglichkeit in eurer stadt unter ausschluss der weltöffentlichkeit, diese auseinandersetzung zu führen? ist indymedia für „solidarische“ kritik bei so einem sensiblen thema die richtige plattform? 
  • wurde eigentlich die betroffene person gefragt, ob das i.o geht den aushang auf indymedia zu veröffentlichen? blos weil man einen kleinen asuhang macht, heisst das für mich nicht, dass es öffentlicht ist.
  • @orga dieses jugendtreffs [edit: Festival] wie kann das sein, dass es so abgelaufen ist? in dem statement steht drin, dass kontakt zu euch aufgenommen wurde, also war euch diese auseinandersetzung auch bekannt, wenn ihr darüber geredet habt. da ist mir eure entscheidung unklar und wieso es dann alle so spontan getroffen hat, wie ich aus den texten lesen konnte. wo war da die awareness struktur?
MAMMAMIA [10. Januar 2021 um 17:04 Uhr]:
  • Ich frage mich gerade, was der Sinn dieser Veröffentlichung ist? Was sollen Menschen, die mit der Situation nicht in Verbindung gebracht werden können damit anfangen? Das ist doch keine politische Auseinandersetzung, sondern anprangern und verurteilen von einer Sichtweise. Wie soll denn eine öffentliche Auseinandersetzung durch diese Veröffentlichungen geschehen??

.


Quellen

[1] Auszüge aus dem Aushang der Gruppe Women Defend Rojava auf dem Festival. Es ist bisher nicht abgeklärt, ob dieser Aushang im Internet veröffentlich werden soll. Daher verweisen wir nicht auf die Quelle.
[3] Beispiele für victim-Blaming des ADDN Artikels, „ihr“ ist immer die Gruppe WDR: „Ihr  habt bewusst Menschen folgenden Situationen ausgeliefert: Ohnmachtsgefühle, Handlungsunfähigkeit, mögliche Traumata […]“; „Es wurden den Personen dort die Pistole auf die Brust gesetzt und sie handlungsunfähig gemacht […]“; „Habt ihr an die Personen gedacht, die von solchen Statements getriggert werden […]“, „In solchen Konfliktlagen von „Tätern“ zu sprechen, ist ein Schlag ins Gesicht von Frauen*, die missbraucht und sexuell misshandelt wurden.“; „Wegen dieser Unfähigkeit sich hinzusetzen und das Problem zu klären, wurden Orgastrukturen in dieser Region überlastet und nachhaltig geschädigt.“
Misogyne und normalisiertes Verurteilen von Betroffenheit: „Das Vorgehen riecht einfach stark nach einer Racheaktion, weil man vom Kollektiv nicht akzeptiert wurde. Da ihr Buddy eine männlich gelesene Person ist (…), ist es natürlich sehr einfach dieses Spiel zu spielen.“, „Ging es hier wirklich darum einen Schutzraum zu schaffen, oder tatsächlich um die Ausübung von Repressionen und somit um das Schaffen eines Machtgefälles?“, „Schlimm ist auch, dass hier Women Defend Rojava Dresden benutzt wurde, um dem eigenen Ego eine Bühne zu gebenund das ihr auch eure eigenen Genoss*innen benutzt und vorsätzlich über den vermeintlichen Vorfall getäuscht habt.“
[4] Statement des Ortskomitees von Women Defend Rojava Dresden zu den Veröffentlichungen vom 8. Januar 2021 https://www.addn.me/news/statement-des-ortskomitees-von-women-defend-rojava-dresden-zu-den-veroeffentlichungen-vom-8-1-2021/
[5] 11.06.2018 – Zusammenfassung des ersten Außerplanmäßigen Gesamtplenums https://malobeo.org/post/2018-06-11/zusammenfassung-des-ersten-auserplanmasigen-gesamtplenums/ [14.04.2021]
[6] Keine sicheren Räume? Diskussion u.a. von e*space https://soundcloud.com/black-mojito/keine-sicheren-raume-diskussion-about-blank
[7] Ohne Definition auch keine Aufklärung – Proteste gegen patriarchale Gewalt in Dresden https://www.addn.me/feminismus/ohne-definition-auch-keine-aufklaerung-proteste-gegen-patriarchale-gewalt-in-dresden/ [14.04.2021]