Zusammenfassung des ersten Außerplanmäßigen Gesamtplenums

In den vergangen Monaten spielte sich im Malobeo ein Konflikt ab, der für das gesamte Kollektiv und insbesondere für die betroffene Person sehr kräftezehrend war. Es kam immer wieder zu übergriffigen Situationen einer Person im Laden, die vom Kollektiv größtenteils nicht beachtet und Übergriffe nicht als solche eingeschätzt, sondern als „Beziehungsprobleme“ abgetan wurden. Es hat geraume Zeit gedauert, bis uns bewusst wurde, dass diese Einschätzung schlichtweg falsch war. Nachdem die betroffene Person den Mut gefasst hatte ihre Situation, durch ein im Gesamtplenum verlesenes Statement, öffentlich zu machen, verbesserte sich ihre Lage jedoch zunächst nicht. Dies ist zum überwiegenden Teil auf Fehl- bzw. Gar-Nicht-Verhalten des Kollektivs zurückzuführen.
Wir wollen uns nun mit dem Konflikt auseinander setzen, reflektieren, wie es zur Isolation der betroffenen Person kommen konnte, Dynamiken, die im Zuge des Konflikts abgelaufen sind ergründen, und Zukunftsstrategien für eventuell folgende Konflikte schaffen. Aus diesem Grund findet nun alle 3 Wochen ein Plenum statt, welches sich nicht mit dem Konflikt und seiner Lösung beschäftigt, sondern das Fehlverhalten innerhalb des Ladenkollektivs in den Fokus stellt.
Dieser Text protokolliert das erste Treffen vom 20.05.2018 um die nun laufenden Prozesse transparent zu machen.

Am 20.05.2018 fanden sich nach Einladung rund 10 Personen zum außerordentlichen Gesamtplenum (AGP) ein. Das Plenum startete mit einer Emotions- ,Motivations- und Erwartungsrunde in der jede*r Teilnehmer*in seine*ihre Gefühlslage, den Grund für die Teilnahme am Plenum und die Erwartung an das Plenum bzw. den Verlauf des Tages beschrieb. Der allgemeine Tenor war, dass eine kollektive Auseinandersetzung bis jetzt gefehlt hat, diese aber dringend notwendig ist um das Malobeo wieder zu einem Raum zu machen, den alle Menschen ohne Angst nutzen, sowie die betroffene Person wieder als Teil des Kollektivs zurück zu gewinnen. Es wurde sich gewünscht, einen „Leitfaden“ für den Umgang mit übergriffigen Personen oder betroffenen Personen zu entwerfen, da als Grund des Nichteinschreitens oft Überforderung mit der Situation genannt wurde.
Nach dieser Runde folgte ein kurzer theoretischer Input zu verschiedenen wichtige Begriffen bzw. Prozessen.

Zuerst wurde der Prozess des Community Accountability (CA; dt.: kollektive Verantwortungsübernahme) erklärt. CA beschreibt einen Prozess, der darauf abzielt, Konflikte innerhalb einer Community/eines Kollektivs/einer Szene zu lösen (hauptsächlich im Bezug auf sexualisierte/ häusliche/ = „intime“ Gewalt), ohne dabei auf Polizei oder Justiz zurückzugreifen.
Ziel ist es dabei nicht, die*den Übergriffige*n zu bestrafen, sonder mit ihr*ihm das Verhalten zu reflektieren und künftig zu ändern. Sie*er soll weiterhin Teil der Community/des Kollektivs/der Szene bleiben, sie*er soll weiterhin Veranstaltungen besuchen und sich nicht isoliert fühlen. Dabei ist es wichtig, dass die übergriffige Person Menschen um sich hat, die sie begleiten und bei der Reflektion und auch bei der Suche nach Alternativen unterstützen.
So gibt es im besten Fall sowohl für die*den Betroffene*n als auch für die Person, von der die Gewalt ausgeht, eine Unterstützer*innengruppe, die die Interessen/Wünsche/Bedingungen des jeweiligen Menschen widerspiegelt und umsetzt. Der Prozess hängt stark von der Reflektionsbereitschaft der Person ab, die die Gewalt ausgeübt hat.
Dieser Prozess läuft unabhängig von der Auseinandersetzung mit dem Konflikt im Malobeo und ersetzt einen Prozess im Malobeo nicht. Es ist uns wichtig, dies zu betonen, da es auch innerhalb des Kollektivs Verwirrungen darüber gab. Einige Menschen gingen davon aus, dass eine Auseinandersetzung des Ladens mit dem Konflikt bereits in Gange war, da Menschen aus dem Kollektiv an am CA-Prozess beteiligt sind. Dies ist aber (bis zu diesem Plenum) nicht der Fall gewesen.

Wer sich mehr Wissen über Community Accountability anlesen möchte, kann sich das Zine „Das Risiko wagen“ (https://www.transformativejustice.eu/wp-content/uploads/2017/04/Das-Risiko-wagen.pdf) und die Broschüre „Gedanken über gemeintschafltiche Hilfe in Fällen von intimer Gewalt“
(http://transformation.blogsport.de/) herunterladen.

Danach wurde über den Kollekivbegriff gesprochen. Kollektiv benennt ein soziales Gebilde, deren Zugehörige nach sehr verschiedenen Gesichtspunkten zusammengefasst werden, etwa eine Belegschaft eines Betriebes oder ein Zusammenschluss von Menschen in einem besetzten Haus. Als politisches Kollektiv wird ein soziales Gebilde mit fortschrittlichen und gemeinsame Zielen bezeichnet, deren sich freiwillig organisierende Mitglieder durch gemeinsame Arbeit miteinander verbunden sind und nach den Grundsätzen der Gleichheit und Gleichberechtigung – oft nach dem Prinzip des Konsenses – Entscheidungen treffen und handeln.
Teil eines Kollektivs ist jede*r, die*der Verantwortung in diesem Zusammenhang übernimmt, sei es durch das Kochen von Küfa, das Planen von Veranstaltungen oder das Aufräumen der Räumlichkeiten. Außerdem ist jede*r Teil des Kollektivs, die*der sich regelmäßig dort aufhält, das Bild des Raumes prägt und damit assoziiert wird.
Dieser Begriff ist gerade im Bezug auf den Konflikt im Malobeo so wichtig, weil nur so eine Verantwortungsübernahme möglich ist, denn der Konflikt spielte sich vermehrt in unseren Räumlichkeiten ab und es wurde nicht eingeschritten.

Als letzter Punkt wurde auch der Begriff der Verantwortungsübernahme genauer definiert. Diese bedeutet, dass jede*r sich dessen bewusst ist, was hier passierte; dass jede*r versteht, wie es soweit kommen konnte, die Dynamikgen, die im Malobeo abgelaufen sind reflektiert und auch die eigenen Fehler einsieht. Darauf aufbauend sollten dann Strategien entwickelt werden, wie der Raum wieder sich für alle Personen wird und wie in Zukunft besser mit solchen Situationen umgegangen werden kann.

Auf den theoretischen Input folgte eine kurze Pause. Nach dieser Pause wurden die anwesenden Personen per Los-Verfahren in drei Gruppen eingeteilt. In diesen Kleingruppen wurden zuerst allgemeine Verständnisfragen geklärt und es wurde sich kurz über das Gehörte ausgetauscht. Danach wurden verschiedenen Fragen an die Gruppen heran getragen:

  • Was definiert ihr als übergriffiges Verhalten?
  • Wie erkennt mensch Betroffene?
  • Was kann mensch dagegen tun?
  • Was könnte mensch explizit im Malobeo tun?

Natürlich hatten die unterschiedlichen Gruppen teilweise voneinander abweichende Antworten auf diese Fragen. Wir versuchen hier nur einen kurzen Abriss zu geben, damit mensch sich vorstellen kann, was erarbeitet wurde. Dinge, die hier nicht genannt werden, sind also nicht weniger wert. Mit der Ausarbeitung einer Zusammenfassung der Ergebnisse in Form einen Plakates wird sich am 10.6. beim 2. AGP befasst.

Was definiert ihr als übergriffiges Verhalten?

Bei der Beantwortung dieser Fragen kamen unter anderem Beispiele wie, dass jemand überall hin begleitet wird, dass jemand eifersüchtig und/oder besitzergreifend ist, dass ein „Nein“ nicht akzeptiert wird. Weitere Punkte waren, dass jemand körperlich davon abgehalten wird, zu gehen, „Mackerverhalten“, Story Telling, Raum einnehmendes Verhalten oder das allgemeine Beanspruchen von Aufmerksamkeit übergriffiges Verhalten sein kann. Hier kamen wir vermehrt auf den Punkt der Definitionsmacht zu sprechen, welcher besagt, dass Betroffene von übergriffigen Verhalten für sich denfiniere, was übergriffiges Verhalten ist. So ist das eigene Verhalten im persönlichen Empfinden vielleicht nicht übergriffig, die andere Person empfindet dies aber so. Übergriffiges Verhalten ist also jegliche Überschreitung persönlicher Grenzen, wie diese definiert sind, kann von Person zu Person völlig unterschiedlich sein.

Wie erkennt mensch Betroffene?

Eindeutig erkennbar werden Betroffene i.d.R. erst, wenn sie sich jemanden anvertrauen. Deshalb sind persönliche Gespräche, ein wirksamer Weg, sie zu erkennen. Weitere Hinweise darauf könnten sein, dass eine Person eine andere meidet mit der sie vorher ein enges Verhältnis hatte, sei es in einer Beziehung, einer Freundschaft oder, dass beide Teil einer politische Gruppe sind/waren. Es sollte auf Isolierungen von Personen geachtet werden und allgemein darauf, ob Personen die Räumlichkeiten weniger nutzen, schlechter erreichbar sind usw.

Was kann mensch/das Malobeo dagegen tun?

Als einer der ersten Punkte wurde hier das „wachsam sein“ genannt. Darunter wurde verstanden, dass versucht wird darauf zu achten, wie es Personen geht, ob sich ihr Verhalten verändert oder ob vielleicht auch Anzeichen für übergriffigen Verhaltens zu erkennen sind. Dann ist es wichtig, die Personen direkt anzusprechen, statt darüber zu spekulieren, was passiert sein könnte. Wenn mensch sich das nicht allein traut oder meint, dass sie*er nicht die*der richtige Ansprechpartner*in ist, kann mensch sich auf jeden Fall Unterstützung von anderen holen. Die Hauptsache ist, dass gehandelt statt gegrübelt wird, sollte der Verdacht bestehen, dass jemand von übergriffigem Verhalten betroffen ist oder übergriffges Verhalten ausübt.

Nach der Erarbeitung der Antworten und dem Festhalten dieser auf Plakaten stellten sich die Kleingruppen ihre Ergebnisse gegenseitig vor. Aufbauend auf diese Erarbeitung wurde dann die Frage gestellt, was mensch nun explizit im Malobeo tun kann. Allem voran soll sich weiter mit dem Konflikt auseinander gesetzt werden.
Außerdem kam die Idee auf, dass ein Leitfaden entworfen wird für Situation in denen mensch übergriffiges Verhalten mitbekommt und einschreiten will. Dieser soll dann offen im Laden ausgehangen werden. Es soll offen nach außen kommuniziert werden, dass sich mit dem Konflikt auseinander gesetzt wird. Dazu sollen Texte über die Fortschritte und Verläufe geschrieben werden, es sollen Veranstaltungen organisiert werden, die sich mit dem Thema befassen. Außerdem wurde der Vorschlag gebracht, dass ein Lesekreis eingerichtet werden könnte, der Texte über Strategien für Lösungen von Konflikten liest.
All die Ergebnisse der letzten Frage wurden gesammelt und zusammengefasst, daraus ergeben sich die Punkte, die beim 2. Plenum besprochen werden sollen:

  • Diskussion zum Thema Emo-Runden (Emo-Runden können Konflikten vorbeugen; es ist wichtig, Raum für Konflikte zu schaffen; in welchem Rahmen kann mensch seine Befindlichkeiten kund tun)
  • Entwerfen zusammenfassender Plakate (Leitfaden, Zukunftsstrategie)
  • Ist es sinnvoll eine Awarenessgruppe zu gründen?
  • Überarbeitung des Leitfaden des Ladens (sichtbar aufhängen)
  • praktisches Umsetzen (Workshops, Veranstaltungen, Lesungen, Lesekreise, etc.)
  • feste Ansprechpersonen für emotionale Konflikte/Probleme finden?!
  • Wie kann kollektive Konflikbewältigung aussehen?

Wie schon erwähnt findet das nächste Plenum am 10.6. ab 13 Uhr im Malobeo statt. Bitte plant Zeit ein, ihr seht, dass einiges auf dem Plan steht. Ein paar vegane Snacks wird es als Nervennahrung geben, aber keine Küfa. Es sind alle Menschen eingeladen, die an der Konfliktlösung interessiert sind und an der Prävention zukünftiger Konflikte beteiligt sein wollen. Lasst uns solidarisch mit den Betroffenen dieses Konflikts sein, lasst uns über Fehler sprechen und sie uns selbst eingestehen, lasst uns einen besseren Umgang mit der Situation finden, damit das Malobeo wieder zu einem sicheren Raum für alle wird!